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Für das Handbuch der Sektion 4 des Künstlerhauses Wien sollte ich einmal einen allgemeinen Begleittext über mich verfassen.
Dieser Absatz lautete: „Als Kind wollte ich Geschichten schreiben, denen man mit drei Ohren zuhören soll, heute möchte ich Bilder machen, die man nicht nur mit drei Augen anschauen muss, sondern die man auch begreifen will, fühlen, darüberstreichen, mit einem spontanen Erinnern an Gras, Luft, Licht und Wind. Bei meinen Wegen durch Hügel und Felder hatte ich ‚zufällig’ mein Material gefunden, eine unverwüstliche Sisalschnur von warmem, neutralem Ton. Ihre Sperrigkeit forderte mich zur Gestaltung heraus, zur Bändigung dieser mehrfach gedrehten, groben Fasern. Ich verzichtete deshalb auf den Faktor Farbe und versuchte, nur durch Struktur und Form Ausdruck zu erreichen.“
Das gilt genauso heute. Sozusagen in meinem zweiten Leben (ursprünglich war ich Dolmetsch) hat mich das Weben gepackt durch seine rhythmische Auf- und Ab-Bewegung, durch die erzwungene Ordnung und Straffung der Gedanken und Beschränkung auf gegebene Möglichkeiten innerhalb der Kette. Eine Schlüsselbegegnung war für mich die Künstlerin Rosemarie Koczy in Genf gewesen, bei der ich eigentlich Malen lernen wollte. Sie eröffnete mir eine neue Welt des Schauens und begeisterte mich für die Technik des Webens am primitiven, einfachen Holzrahmen. Inzwischen ist mein Rahmen gewachsen und reicht bis zum Plafond. Er ist rasch verstellbar und man behält die Übersicht. Ich verwende immer noch nur die eine Sorte groben Sisals und habe das Gefühl, dass ein Menschenleben nicht ausreicht, alle Ideen umzusetzen. Es liegt so unendlich viel Zeit und Geduld in diesen Webe-Arbeiten, sodass ich manchmal wünsche, ich hätte eine Technik gewählt, mit der ich rascher zum Ziel komme. Getrieben durch diese relative Ungeduld begann ich zu fotografieren, seit kurzem auch mit einer Makrolinse, und ich kann nur jedem Schauenden empfehlen, in dieses neue, oft überraschende Reich der Farben und Strukturen zu tauchen. Durch das genaue Hinsehen und Aufnehmen speichert das Unterbewusstsein eine Fülle von Eindrücken, die dann plötzlich in einer Idee Gestalt bekommen.
So hatte ich das Jahr 1978/79, das ich in der Hügellandschaft des Wienerwaldes verbrachte, bei meiner Rückkehr nach Holland umgesetzt in das ‚Rad des Lebens - carmina burana’, für das ich im Oktober 1981 eine Bronzemedaille in der Textile Triennial of Fiber Artists and Designers in Lódź (Polen) erhielt. Dieses Textilrelief ist 285 x 160 cm groß und in zwei Teilen gewebt, dazwischen ist 20 cm ‚Luft’.
Das ‚Rad des Lebens’ kann gesehen werden als Prinzip für das Leben des Einzelnen, oder – breiter, allgemeiner – für das der Menschheit. Ich möchte es dem Betrachter überlassen, ob er sich persönlich angesprochen fühlt oder ob er das Stück allgemein sieht.
Der Bruch in der Mitte symbolisiert die Kluft im Leben, vor der jeder Mensch zu einem gegebenen Zeitpunkt steht: es gilt, dieses Nichts - Nichtweiterwissen, Nichtweiterkönnen (- wollen), diesen Abgrund - zu überwinden, den Sprung zu wagen und die großen Lebenslinien weiterzuziehen (WEITER zu ziehen). Die Möglichkeiten sind vorhanden, der Kreis kann noch breiter und weiter werden. Die Nabe, um die sich das Rad dreht, ist ebenfalls dargestellt in Symbolen des Korns und der Fruchtbarkeit, sie verdichtet sich bei genauerem Hinsehen durch Farbnuancen in einem angedeuteten Übergang von Grün nach Rot (Reifungsprozess).
Breiter gesehen stellt das Stück ein Land, die Weltkugel dar, wobei dann die Nabe z.B. ein Pol sein kann. Wo stehen wir? Wahrscheinlich haben die polnischen Künstler im Oktober 1981 mein Stück so verstanden. Mit Staunen wurde mir in diesem spannungsgeladenen Land bewusst, dass meine Arbeit angesichts der Situation eine dramatische Aktualität (*) erhalten hatte.
Bei der allgemeinen Interpretation kann der Riss, die Leere, auch Tod bedeuten und im Weitergang den Neubeginn durch folgende Generationen.
‚Carmina burana’ war für mich die große Melodie dieser Arbeit. Dieses faszinierende Chorwerk von Carl Orff für Soli, Chor, Orchester und Schlagzeug beinhaltet das Grundmotiv des sich unablässig fortdrehenden Lebensrades mit einer durch die Pauken wuchtig skandierten, schwerfälligen Drehbewegung: ein an-die-Grenze-Rühren, fast-Auseinanderfallen und ein mit mächtiger Kraft durchgezogenes Weiterdrehen. LEBEN und Neuwerden von Leben in der Natur.
Etwas unruhig wegen der damals sehr kritischen, politischen Lage war ich zur Eröffnung der Triennale am 19. Oktober 1981 nach Lódź gefahren. Noch waren die Menschen voll Zuversicht, es herrschte eine Atmosphäre des hoffnungslos-hoffnungsvollen Abwartens.
Nach meiner Rückkehr und unter dem Eindruck der angespannten Stimmung webte ich spontan ein Stück mit dem Titel ‚Strömung’: zwei bewegte, transparente Wellenformen liegen auf einem dichtgewebten Untergrund.(**) Es ging mir um die Gegenüberstellung von unruhiger Oberfläche und Zusammenhalten des essentiellen, tragenden Grundes: der ruhige Unterstrom trägt alles Lebendige, Fliehende, Vergängliche – panta rhei.
Ich komme nicht los von Themen des Fortfließens, Wegbewegens, des Lebensweges, des Lebensrhythmus. Den treffendsten, weil so fantasievollen Kommentar über meine abstrakten Arbeiten hörte ich von einem siebenjährigen Buben. Suppelöffelnd schaute er auf mein ‚Crescendo – Decrescendo’, eine einfache, geschwungene Dreiecksform aus gewebten Schlingen (Kornfeld, Welle, Straße?) und konstatierte nachdenklich:
„Das ist eine Büffelherde in der Wüste. Die Büffel laufen alle weit weg, ganz schnell, und da entstehen im Sand lauter Staubwolken. Die Büffel selber sieht man nicht, die sind darunter.“ Er hat eben mit drei Augen geschaut.
(*): im Dezember 1981 wurde in Polen der Ausnahmezustand ausgerufen.
(**): das Stück existiert nicht mehr. Es wurde beim Rücktransport von einer Ausstellung im Lastwagen ZERDRÜCKT.